EU-Haftbefehl - Die inhaltlichen Anforderungen an den Europäischen Haftbefehl

14. September 2014

Düsseldorf, 14.09.2014 - Fachanwalt für Strafrecht, EU-Haftbefehl



Die inhaltlichen Anforderungen an den Europäischen Haftbefehl ergeben sich aus § 83a Abs. 1 IRG. Wenn der Europäische Haftbefehl diesen Anforderungen nicht genügt, kann er nicht Grundlage für Auslieferungshaft sein und eine Auslieferung an den ersuchenden Staat ist abzulehnen, wenn keine ganz schnelle Nachbesserung der Auslieferungsunterlagen durch den Ausstellerstaat erfolgt. Daß der Europäische Haftbefehl solche erheblichen Defizite hat, die einer Auslieferung entgegenstehen, kommt tatsächlich gar nicht selten vor. Das wird durch den Umstand begünstigt, daß die Aussteller ein einheitliches Formular für den EU-Haftbefehl verwenden, das vielleicht zu all zu oberflächlicher Tatbeschreibung verführt. Die Defizite der Tatbeschreibung deuten aber nach meiner Erfahrung immer auch darauf hin, daß der Vorwurf gegen den Verfolgten auf schwachen Füßen steht und dass man auch da einhaken kann. Man muß als Verteidiger die Defizite nur erkennen und brandmarken.

Der EU-Haftbefehl bzw. die Gesamtheit der Auslieferungsunterlagen muß insbesondere eine konkrete Tatbeschreibung enthalten, nämlich ausdrücklich nach § 83a IRG "die Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde, einschl. der Tatzeit, des Tatortes und der Tatbeteiligung der gesuchten Person". Das OLG Köln hat in einer Entscheidung der Defizite von Auslieferungsunterlagen besonders prägnant aufgezeigt und Auslieferungshaft und Auslieferung mangels konkreter Tatbeschreibung abgelehnt. Die Auslieferungsunterlagen erfüllten eben nicht "die Mindestanforderungen, die nach § 83a Abs. 1 Nr. 5 IRG an die Konkretisierung des Tatvorwurfs zu stellen sind, damit das ersuchte Land die Subsumtion nachvollziehen und die Überprüfung vornehmen kann, ob die Tat zu den Deliktsgruppen des Art. 2 Abs. 2 RbEuHb vom 13.06.2002 gehört oder - wenn nicht - das dem Verfolgten vorgeworfene Verhalten nach deutschem Recht strafbar ist (...)" (OLG Köln, 6 AuslA 54/12 - 45). Grundsätzlich gleiche Defizite hat früher schon eine Entscheidung des OLG Karlsruhe beanstandet (Strafverteidiger-FO 2005, 165).

In der Praxis gehen ablehnenden Entscheidungen aber Nachfragen der deutschen Justiz bei dem ersuchenden Staat voraus bzw. Aufforderungen, daß der verfolgende Staat den Tatvorwurf noch nachträglich konkretisiert (vgl. zu dieser Praxis OLG Stuttgart, NStZ-RR 2003, 276 f.). Diese Praxis ist angesichts des grundgesetzlich verankerten Beschleunigungsgrundsatzes jedenfalls mit gleichzeitiger Auslieferungshaft eigentlich nicht vereinbar.

Es kommt auch gar nicht selten vor, daß der den Europäischen Haftbefehl ausstellende Mitgliedstaat gar nicht auf Bitten um Konkretisierung des Tatvorwurfs reagiert, oder sich Monate lang Zeit läßt und nur häppchenweise zusammenhanglose Dokumente nachreicht. Jede Generalstaatsanwaltschaft hat da ihre eigenen Erfahrungen mit bestimmten Staaten. In solchen Fällen ist eine Auslieferung abzulehnen. Die Grenzen noch hinnehmbarer Nachlieferung - und damit Verzögerung - werden aber leider nicht immer gleich eng gezogen. Jedenfalls muß auf kurze Dauer die Freilassung des Verfolgten angeordnet werden, wenn er trotz defizitärer Auslieferungsunterlagen in Auslieferungshaft geraten ist.

Sehr kritisch ist ohnehin die von vielen Strafsenaten praktizierte Heranziehung anderer Unterlagen außerhalb des Europäischen Haftbefehls zur Ergänzung der Tatkonkretisierung zu sehen (vgl. dazu OLG Nürnberg, Beschluß vom 03.09.2012 - 1 OLGE Ausl 21/12 - und OLG Karlsruhe, Beschluß vom 13.07.2011 - 1 AK 24/11). Das OLG Celle (Beschluß vom 28.05.2009 - 1 ARs 21/09) hat die Heranziehung zurecht abgelehnt, wo sich "die wesentlichen Bestandteile der Ausschreibung (...) gleich einem Mosaik erst mühsam aus einem Konvolut von Mitteilungen erschließen".

Es gibt leider eine ganze Reihe von Entscheidungen, die die Anforderungen an die Tatkonkretisierung bei Serienstraftaten und Dauerstraftaten und Organisationsdelikten reduziert haben (vgl. OLG Karlsruhe, Strafverteidiger 2005, 402; OLG Zweibrücken, Beschluß vom 16.01.2008 - 1 Ausl 28/07; OLG Nürnberg, Beschluß vom 03.09.2012 - 1 OLGE Ausl 21/12). Besonders bedenklich ist aus meiner Sicht auch die festzustellende Tendenz mancher Gerichte, die Anforderungen an die Tatkonkretisierung bei der vorgeworfenen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung zu reduzieren (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluß vom 22.01.2013 - 1 AK 76/12). Denn hier besteht auch die Gefahr, daß der den EU-Haftbefehl ausstellende Mitgliedstaat den pauschalen Vorwurf der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung erhebt, wo ansonsten konkrete Tatvorwürfe nicht substantiiert werden können. Wenn diese Strategie im Auslieferungsverfahren honoriert wird, läuft die Anforderung hinreichender Tatkonkretisierung bisweilen völlig leer.

Das für den EU-Haftbefehl aus § 83a IRG folgende gesetzliche Gebot der Tatkonkretisierung ergibt sich im übrigen ganz grundsätzlich für alle Auslieferungsverfahren auch aus dem Grundsatz der "Spezialität", der gewährleistet, daß der Ausgelieferte im ersuchenden Staat strikt nur wegen der Tat verfolgt wird, wegen der er ausgeliefert wurde. Der Grundsatz der "Spezialität" gehört zu den Regeln des Völkerrechts i.S.d. Art. 25 GG. Auch der Schutz eines Verfolgten durch den Spezialitätsgrundsatz läuft bei mangelnder Tatkonkretisierung leer, wird jedenfalls erheblich aufgeweicht.


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